Marionette Mensch – Fatalismus des Materialismus

Kaffee oder Tee? Immer mehr Wissenschaftler glauben, dass wir nicht einmal Herr solch banaler Entscheidungen sind. Ist der freie Wille eine Illusion?

Genau dahin kommt man, wenn man seinem Denken nicht erlaubt, sich ein Jenseits, eine Transzendenz vorzustellen. Wolfgang Koydl beschreibt in diesem Artikel (19.5.2021) eindrücklich, wie atheistischer Determinismus immer direkt zum Nihilismus führt; in eine lieblose und verantwortungslose Welt! Aber was um Gottes Willen ist daran neu? Evolutionisten werden immer wieder den gleichen Unsinn daraus folgern und nie ihre fatale Prämisse hinterfragen! Quod erat demonstrandum. Was nicht sein darf, kann nicht sein. Aber ihr Warnhinweis ist in einer konservativen Zeitschrift unangebracht – die geneigte Leserschaft hat diese Engführung schon längst durchschaut und ihren Horizont erweitert!

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Vielleicht sollte man diesem Artikel einen Warnhinweis voranstellen. Denn die Schlussfolgerungen könnten bei manchen Lesern Entsetzen, Empörung oder gar Verzweiflung auslösen, reissen sie doch das ganze Gebäude der Zivilisation, ja des menschlichen Zusammenlebens ein. Schuld und Sühne, Lob und Zuspruch, Liebe, Freundschaft und Wohltätigkeit – alles wäre Schall und Rauch, pure Illusion.

So wie der freie Wille, die Überzeugung, dass wir Herr unserer Entscheidungen und damit für unsere Handlungen verantwortlich sind. Denn eine immer grössere Zahl von Naturwissenschaftlern, Philosophen und Psychologen kommt zum Schluss, dass selbst die banalsten Entscheidungen fremdbestimmt sind. Damit könnte niemand für etwas haftbar gemacht werden, aber auch gute Taten wären keine bewussten Entscheidungen und somit wertlos.

Unveränderliche Gesetze

Nach Überzeugung dieser Wissenschaftler ist das Leben eine Kausalkette, eine Abfolge von Ursachen und Wirkungen, die ihrerseits wieder die Ursachen für die nächsten Konsequenzen sind. Jedes Ereignis ist die Folge eines früheren Ereignisses, dem seinerseits ein Ereignis zugrunde lag. Denkt man dies logisch zu Ende, reicht die Kette zurück bis zum Urknall, zum Ursprung des Universums. «Determinismus» heisst diese Denkschule, weil alle Aktionen determiniert, bestimmt sind.

So hängt auch die banale Frage, ob man Tee oder Kaffee wählt, von zahlreichen Gründen ab, auf die wir keinen Einfluss hatten: dem Ort, an dem wir aufgewachsen sind, von der Erziehung, von Geschmackspräferenzen (haben sich Broccoli-Liebhaber jemals bewusst für dieses Gemüse entschieden?) und den Genen, die wir von den Eltern ungefragt erhalten haben, die sie wiederum von ihren Eltern bekamen. «Deine Entscheidung kommt aus der Dunkelheit früherer Ursachen, die du, der bewusste Zeuge deiner Erfahrungen, nicht hervorgebracht hast», beschreibt es der Neurowissenschaftler und Philosoph Sam Harris. Wissenschaftler anderer Fächer sekundieren: Nach Ansicht des Evolutionsbiologen Jerry Coyne schliessen die Naturgesetze einen freien Willen aus: Das Gehirn sei ein organisches System und folge diesen unveränderlichen Gesetzen. Der Allround-Denker Yuval Noah Harari hält die menschliche Entscheidungsfreiheit für einen «anachronistischen Mythos». Und schon Arthur Schopenhauer befand: «Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.»

Unterstützung kommt von Neurowissenschaftlern, seitdem diese die Hirnaktivität messen können. Bekannt wurden die Experimente des amerikanischen Physiologen Benjamin Libet, der nachwies, dass sich das Gehirn selbsttätig für eine Handlung entscheidet – bis zu einer halben Sekunde früher als zum Zeitpunkt, zu dem wir glauben, sie zu treffen. Selbst die an der Aktion beteiligten Muskeln sind längst vorbereitet, wenn wir endlich den Gedanken fassen. Harris fasst es prägnant zusammen: «Wir können ebenso wenig unserem Gehirn befehlen zu denken, wie wir unserem Herz befehlen können zu schlagen.»

Aber kann sich der Mensch nicht – allein mit Willensstärke – verändern? Eine Diät durchhalten, Sport treiben, dem Alkohol entsagen? Harris hat auch hier eine Antwort: Nur wer schon die entsprechende Persönlichkeit hat, kann seine Persönlichkeit auch ändern. Und mit dieser Persönlichkeit wurde man geboren, sie ist das Ergebnis einer langen Reihe von Fakten genetischer und äusserer Einflüsse.

Kritik am Determinismus kommt von der Quantenmechanik. Sie hat entdeckt, dass Abläufe im subatomaren Bereich nicht nach Gesetzmässigkeiten, sondern zufällig ablaufen. Damit aber ist die Kausalkette durchbrochen. Doch für Harris und seine Kollegen verfängt diese Argumentation nicht: «Auch wenn unsere Entscheidungen ein Produkt des Zufalls sind, sind wir nicht für sie verantwortlich.»

Am gefährlichsten Punkt

Hier rührt Harris an den gefährlichsten Punkt der Debatte über den freien Willen – die Konsequenzen, die ein Abschied von diesem Konzept bedeuten würde. Denn damit wäre jede menschliche Handlung, egal, ob gut oder böse, bar jeglicher moralischen Grundlage. Verbrecher könnten nicht für ihre Taten belangt werden, wenn sie dafür nicht verantwortlich gemacht werden können. Absurd? Und wie urteilen wir über einen Mörder, der seine Taten verübte, weil ein Hirntumor seine Persönlichkeit veränderte?

«Niemand hat sich selbst herbeigeführt», meint der Philosoph Bruce Waller. «Niemand hat sich seine Gene oder die Welt, in die er geboren wurde, ausgesucht. Deshalb trägt niemand letztlich die Verantwortung dafür, wer er ist und was er tut.» Mit anderen Worten: Mit Hitlers Genen und Hitlers Erziehung kann jeder Hitler werden.

Bei diesem Gedanken öffnet sich aber ein ethisch-moralischer Abgrund, und wer zu tief in ihn blickt, dem wird schwindlig. Der israelische Philosoph Saul Smilansky empfiehlt daher, dass nur Eingeweihte dieser «dunklen und furchtbaren Wahrheit ins Auge» sehen dürften. Der Rest der Menschheit solle an der «Illusion» des freien Willens festhalten: «Wenn die Wahl besteht zwischen dem, was wahr ist, und dem, was gut ist, dann muss die Wahrheit weichen – um der Gesellschaft willen.»

Wolfgang Koydl, Weltwoche 20/21, 19.05.2021, S.42